Nur ein Buzzword? So läuft agiles Arbeiten bei EOS.

Wenn sich die Märkte rasant verändern, muss die Unternehmenssoftware Schritt halten können. Darum hat EOS agile Methoden eingeführt, als die Entwicklung des neuen Inkassosystems FX anstand – und damit einen Kulturwandel in der ganzen Gruppe angestoßen.

Kirsten Hunder ist nicht das, was man "agile by nature" beschreiben würde. Für die Product Ownerin war der Einstieg in agiles Arbeiten eine Umstellung in der Organisation ihrer täglichen Arbeit und des Team.
Kirsten Hunder

„Agile by nature“ steht auf dem blauen Aufkleber auf Kirsten Hunders Laptop. Daneben Legosteine, Jonglierbälle und Kokospralinen. Eigentlich, sagt Hunder, sendet der Aufkleber die falsche Botschaft: „Das Konzept des agilen Arbeitens ist mir ziemlich neu.“ Vor zwei Jahren kam sie in das Software-Projekt FX bei EOS in Hamburg, wo sie heute als Product Owner arbeitet. „In Wochen statt Monaten zu denken und meine Zeit um Meetings herum zu organisieren, bedeutete eine große Umstellung für mich.“

In ihrem letzten Job, erzählt sie, zogen sich Fachleute noch in eine ruhige Ecke zurück, um 100-seitige Konzepte zu schreiben. Deren Umsetzung dauerte dann gern eineinhalb Jahre. „Wenn man Glück hatte, wurde das Ergebnis abgenommen, aber ziemlich oft wurde es abgelehnt und alles begann von vorne.“ Hunder brauchte also eine Weile, um sich bei FX zu akklimatisieren. „Der Kickertisch und die ganzen Post-it-Zettel kamen mir erst komisch vor und ich habe mich gefragt: Wird hier auch gearbeitet?“

Heute ist Kirsten Hunder Teil eines Teams namens „KoRn“ – was offiziell für „Kommunikation und Reporting“ steht. Die siebenköpfige Gruppe teilt sich ein ganzes Stockwerk mit vier anderen Teams ähnlicher Größe und ähnlich schrägen Namen in der EOS-Zentrale hinter dem Hamburger Hauptbahnhof.

Porträt von Thomas Lieder, Agile Coach. Er unterstützt die Kollegen von der Softwareplattform von EOS flexibler und datengetriebener zu werden.
Agile Teams funktionieren nur, wenn alle Mitglieder Verantwortung übernehmen – und auch die Chance dazu bekommen, sagt Agile Coach Thomas Lieder

Die Mission der rund 70 Kollegen: das neue Rückgrat von EOS Deutschland schaffen. FX ist eine völlig neue Softwareplattform für das Forderungsmanagement. Das bestehende System kommuniziert nach starren Regeln mit den Schuldnern, FX soll flexibler, datengetriebener sein. Dadurch können die EOS-Mitarbeitern persönlicher mit Schuldnern umgehen, was zu mehr Respekt im Umgang führt und die Chance auf eine Rückzahlung erhöht.

„FX analysiert anonymisierte Schuldnerdaten und schlägt uns zum Beispiel vor, auf welchem Weg wir mit einem Schuldner den Dialog führen sollten, per E-Mail, WhatsApp oder Brief,“ sagt Thomas Lieder von EOS Technology Solutions. Lieder, der auch als Agile Coach agiert, steht gerade im Küchen- und Entertainmentbereich der FX-Etage. Playstation, Kickertisch – sind das alles nicht nur modische Accessoires, die man heute eben hat – so wie man heute im Projektmanagement eben „agil“ ist?

„Agil ist weit mehr als ein Buzzword,“ sagt Lieder. „Es ist der einzige Weg, den wir gehen können.“ Jede Software, die bei EOS entsteht, muss schnell entstehen und in Bewegung bleiben. Denn im digitalen Zeitalter verändert sich die Unternehmensrealität so schnell, dass jedes System schon wieder veraltet wäre, wenn es marktreif ist.

„Reagieren auf Veränderungen.“ So lautet einer der vier Werte des „Agile Manifesto“. Ausgedacht hat sich dieses Manifest 2001 eine Gruppe von Softwareentwicklern, die von den traditionellen Workflows frustriert waren, mit ihren starren Pläne, wie sie auch Kirsten Hunder in ihrem alten Job erlebt hatte.

Die agile Methode fordert Teams auf, wie Start-ups zu denken, um so flexibler arbeiten zu können.
Wenn Unternehmen In-House-Lösungen entwickeln, hilft es, wie ein Start-up zu denken: Wen kann ich früh mit meinen Lösungen überzeugen und dadurch zu meinem Botschafter in der Organisation machen?

Enge Zusammenarbeit und Transparenz.

„Die Vorstellung, man müsse einen Sachverhalt erst komplett durchdenken, um eine Lösung zu finden, ist falsch,“ sagt Lieder. Ebenso wie die Vorstellung, dass verschiedene Gewerke getrennt voneinander arbeiten müssten. Bei FX arbeiten Softwareentwickler, UX-Designer und Inkassomitarbeiter in interdisziplinären Teams zusammen. Alle zwei Wochen beschließen sie einen detaillierten Plan, auf dem sie die Schritte für die nächsten zwei Wochen festlegen. „Unsere Teams arbeiten an vielen kleinen Systemen, die interagieren und gemeinsam die komplette Plattform bilden,“ sagt Lieder. „So, als ob du eine Stadt bauen würdest und ein Team baut das Krankenhaus, eines die Polizeistation und eines den Hafen. Aber alle tauschen sich ständig aus."

Alles, was die Teams tun, wird mit Post-It-Zetteln an einer Wand dokumentiert, vor der sie sich am Ende jedes Sprints (so heißen die zwei-Wochen-Abschnitte) versammeln. Überschriften wie „Implementierung“ und „Verbesserung“ zeigen transparent, wo die Teams stehen. So können sie aus jedem Sprint lernen, sagt Lieder. Um bei der Stadt-Metapher zu bleiben: Bei den zweiwöchigen Sprint Reviews diskutieren die Teams, ob die von ihnen erbaute Polizeistation gut genug ausgestattet ist, um in die städtische Infrastruktur eingebettet zu sein und ob man als nächstes lieber mit dem Bau eines Flughafens oder eines Radwegs beginnen sollte.

Zu den Werten des Agile Manifesto gehört auch, dass die Menschen, für die man programmiert, wichtiger sind als die Prozesse und Werkzeuge, an die man gewohnt ist. Die eigentliche Herausforderung des agilen Projektmanagement, sagt Lieder, bestehe darin, eine komplette Denkweise zu vermitteln. „Werte wie Offenheit, Respekt, Mut und Transparenz sind entscheidend.“

Vor allem geht es um Vertrauen. Vertrauen in sich selbst, in andere Teammitglieder und in agile Techniken wie Scrum (siehe Infokasten). „Ohne Vertrauen funktionieren viele Dinge einfach nicht,“ sagt Lieder und wendet sich kurz ab, um beim Ausräumen der Spülmaschine zu helfen. „Bei EOS sagen wir: `You build it, you run it’,“ sagt Lieder und stellt dabei ein sauberes Glas in den Schrank. „Das bedeutet, dass Teammitglieder für ihre Arbeit verantwortlich, aber auch für andere Dinge - wie das Leeren der Spülmaschine.“

Führen bedeutet Hürden abbauen.

Welche Rolle spielt Führung? „Wir mögen keine Hierarchien, aber Führung ist immer noch notwendig, wenn auch nicht im traditionellen Sinne, wo der Chef dem Angestellten sagt, was der jetzt tun soll,“ sagt Lieder. Es gehe darum, einen Rahmen für Selbstverantwortung zu schaffen. „Auch ich habe einen Teamleiter. Brauche ich seine Zustimmung, wenn ich Urlaub machen möchte? Nein, das koordiniere ich mit meinem Team." Führung bedeutet bei EOS auch den Abbau von Hürden: „Neue Kollegen können das Betriebssystem auswählen, mit dem sie sich am wohlsten fühlen: Windows, Mac oder Linux,“ sagt Lieder.

Auch im Gesamtunternehmen EOS muss Lieder um Vertrauen werben, bevor sich Kollegen von ihren Routinen lösen und agile Arbeitsweisen annehmen: „Wir müssen akzeptieren, dass wir Teil einer größeren Organisation sind." Daher sei es ein langer Weg, die Arbeitsabläufe im gesamten Unternehmen zu transformieren. Dass am Ende alle davon profitieren werden, davon ist Lieder überzeugt.

Ein wichtiger Schritt ist bereits getan: Die erste Version der neuen Inkasso-Software läuft seit November 2017 parallel zur bestehenden Plattform, wobei Inkasso-Mitarbeiter den Teams immer wieder Feedback geben. Durch diesen Erfolg wird das FX-Team im Konzerns ganz anders  wahrgenommen, sagt Jana Titov aus der internen Kommunikation: „Früher hat man die IT-Leute als sozial inkompatibel abgestempelt, heute sind sie Vorbilder in Sachen Teamarbeit und Fortschritt.“

Auch Kirsten Hunder ist heute vom agilen Arbeiten überzeugt. „Agilität macht auch im Teambuilding einen riesen Unterschied, neue Kollegen können schon innerhalb weniger Wochen Verantwortung übernehmen.  Ich würde wirklich nicht gern die Zeit zurückdrehen.“

INFOBOX SCRUM:

Beim Rugby steht „scrum“ (Kurzform für scrummage) für eine Haufen schwitzender, bulliger Spieler, die mit gesenkten Köpfen um den Ball kämpfen – sieht wild aus, steckt aber viel Methode drin. Ähnlich im agilen Projektmanagement: Hier ist Scrum ein System (engl. Framework), nach dem sich Entwicklerteams von bis zu neun Mitarbeitern organisieren. Sie arbeiten in schnellen Arbeitsetappen – in der Regel zwei Wochen lang – intensiv an einem Aufgabenkatalog; nach jedem Sprint werden in einem Sprint Review, die Resultate gemeinsam bewertet. Damit zielgerichtet läuft, gibt es die Position des Product Owners. Er  stellt sicher, dass das Produkt den Kundenwünschen entspricht. Dazu kommt der Scrum Master; er sorgt dafür, dass der Motor des Projekts geölt ist und alle auftretenden Hindernisse beseitigt werden.